WERTHEMANNSCHER HIRSCH
TRINKRITUALE IM SPIEGEL DER ZEIT
Zu den kostbarsten, weil in hohem Masse charakteristischen und aufwendig
ausgeführten Leistungen der Augsburger Goldschmiede um 1600 gehören
die sog. Trinkspiele, ein erlesener Teil höfischer Tafeldekoration.
Viele dieser Werke sind mit einem automatischen Räderwerk versehen.
In der Werkstatt dreier berühmter Augsburger Goldschmiede sind
solche Trinkspiele in Form der auf einem Hirsch reitenden Diana entstanden.
Die Jagdgöttin ist von drei grösseren Hunden begleitet, zwei
kleinere folgen einem laufenden Jäger. Anlässlich hoher Feierlichkeiten
bei Hofe trug das Trinkspiel zur Belustigung der Gäste bei. Zunächst
füllte man den hohlen Körper des Hirsches, dann den des grössten
Hundes mit Wein, danach rollte das durch ein Räderwerk aufgezogene
Trinkgefäss in unvorhersehbaren Bahnen über den Tisch. Das
Gästepaar, vor welchem der fahrende Pokal stehen blieb, musste
gleichzeitig den Mund zum Austrinken ansetzen: der Herr trank nach Abnahme
des Hirschkopfes, die Tischnachbarin nach der des Hundekopfes. In der
Zufälligkeit und Spannung, zu welchem Paar an der Tafel der Automat
wohl hinfuhr und wie geschickt es dann den Wein zu trinken vermochte,
lag der besondere Reiz des Spiels. *1
GOLDSCHMIEDEZENTRUM AUGSBURG
Im Goldschmiedezentrum Augsburg fand gerade in diesen Automaten die
Verbindung von qualitätvollem Goldschmiedehandwerk, grosser bildhauerischer
Tradition und wohl entwickelter Uhrmachertechnik zur glücklichen
Synthese. Diese Augsburger Kleinskulpturen verarbeiteten Einflüsse
aus allen Himmelrichtungen. Einerseits gelangte eine grosse Zahl aus
Italien importierter Kunstwerke in die Stadt, andererseits gingen Augsbuger
Künstler oder dort beschäftigte Meister selbst in den Süden
und wurden dort Mitarbeiter der bedeutendsten Werkstätten. Es seien
Adrian de Fries und Hans Reichle genannt, die bei Giambologna in Florenz
ihre Erfahrungen sammeln konnten. Als „Erfinder" der Komposition
der Diana auf dem Hirschen kann der Augsburger Goldschmied Matthias
Walbaum gelten, der an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die ersten
Beispiele solcher Diana-Gruppen schuf. Jakob I. Miller und Joachim Fries
fertigten etwa ab 1610 eigene Varianten dieses Typus an. Regensburg
galt ebenso bis ins 18. Jahrhundert als eine der führenden Zünfte
der Gold- und Silberschmiedekunst. Eine teilvergoldete Silberarbeit
von Paulus Aettinger d.Ä., ursprünglich aus der Sammlungen
Baron Lionel de Rothschild und Baron Alfred de Rothschild, kann man
heute in der privaten Sammlung Würth in Baden-Württemberg
bewundern.
Von besonderer Bedeutung am Diana-Trinkspiel der Fürstlichen Sammlungen
Liechtenstein, das 2009 durch Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein
von der Galerie Neuse in Bremen angekauft wurde, ist das im originalen
Zustand erhaltene Laufwerk, das noch voll funktionstüchtig ist:
Sobald das Federwerk aufgezogen ist, bewegt sich der Automat nach Betätigung
eines Entriegelungshebels über die Tafel nach einer Strecke von
circa 60 cm verändert er, von einem schwenkbaren Steuerrad gelenkt,
die Laufrichtung um 90 Grad, sodass das Trinkspiel nach viermaliger
Richtungsänderung auf der Tafel annähernd ein Quadrat zurücklegt.
*2
AUTOR: Prof. Ali Meyer | zitierter
Text | issued by IN VINO VERITAS
*1-ZITAT: © Historisches Museum
Basel
*2-TEILZITAT: © findART | www.altertuemliches.at
| Presse 08.08.2009 | completed by IN VINO VERITAS
BILD oben rechts: ©
Historisches Museum Basel | Trinkautomat mit Diana auf dem Hirsch |
Joachim Fries | Augsburg 1610/15
BILD Panorama: © Fürstliche Sammlung
Liechtenstein | Trinkautomat mit Diana auf dem Hirsch | Joachim Fries
| Augsburg 1610/12 | Ausschnitt Hunde
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