CAMINO DE SANTIAGO –
auch eine VINOPHILE REISE
Der englischer Philosoph John Locke befasst sich in seinem Hauptwerk
An Essay Concerning Human Understanding, mit dem menschlichen
Verstand und darin findet sich vielleicht das berühmteste symbolische
Bild der Camera Obscura: „Äußerliche und innerliche
Wahrnehmungen sind die einzigen Wege, die meines Wissens für den
Verstand erfassbar sind. Denn der Verstand ist, wie mir scheint, nicht
sehr viel anders als ein Fenster, durch das Licht in diese völlig
dunkle Kammer fällt. Für mich ist der Verstand sehr ähnlich
einem solchen absolut abgedunkelten Raum, wo nur eine kleine Öffnung
vorhanden ist, um äußere sichtbare Bilder oder Vorstellungen
von außerhalb einzulassen; würden die Bilder, die aus so
einem dunklen Raum kommen, nur dort bleiben und geordnet verwahrt sein,
um bei Gelegenheit abrufbereit zu sein, so würde das dem Verstand
des Menschen sehr ähnlich sein.“ Locke unterscheidet
zwei Quellen der Erfahrung: Die Sensation, die von den äußeren
materiellen Dingen ausgeht und die Reflexion, die sich auf die inneren
Operationen unseres Geistes bezieht. „Wie überstehen
denn andere Leute ihr Leben?“. Dieser Satz zieht sich wie
ein roter Faden durch die meisten Romane des US-amerikanischen Schriftstellers
Richard Yates. Erkenne dich selbst. Diesem Weg sollte man folgen. Man
kann dabei ruhig dem mutigen Vorbild Ludwig Feuerbachs folgen und die
Scheu vor ein wenig Religionskritik verlieren.
Das unvollendete Projekt der Aufklärung darf weiterentwickelt
werden, am Besten im aufrechten Gang. Als Agnostiker von Gottes Gnaden
beschäftigt mich seit langem ein Gedanke. Wer das Ziel nicht kennt,
wird den Weg nicht finden. Die spirituelle Erfahrung eines Erkenntnisweges
um einmal nachhaltig zu dir selbst zu finden, ein in vielen Formen definierbares
Etwas, welches erst durch Erfahrung fühlbar, greifbar und beschreibbar
wird, das ist es, welches es zu erforschen gilt. Aus diesem Grunde spreche
ich von einem Triathlon. Da offenbaren sich dir diverse Varianten der
Selbstverwirklichung, falls man das in solchen Worten auszudrücken
imstande ist. „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,
dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was
er nicht will.“ Ich wähle den seit langem existierenden
altbekannten Pilgerweg nach Santiago de Compostela – nach meiner
persönlichen Definition eben benannt als Rosenkranz-Triathlon –
den Jakobsweg, Camino de Santiago. Die Grabstätte in Santiago de
Compostela entwickelte sich im Mittelalter neben Rom und Jerusalem zum
dritten Hauptziel der christlichen Pilgerfahrt. Warum strebe ich nicht
nach Jerusalem? Dort ist es viel zu unruhig, im Umfeld gibt es auch
zu viele Bomben. Warum zieht es dich nicht nach Rom? Ich spreche immer
lieber mit dem Chef und nicht mit seinem Stellvertreter.
Das ist der Punkt. In aller Bescheidenheit immer hoch hinaus, das ist
ein Teil des Geheimnis des Lebens. Ich begebe mich also auf den Weg
nach Santiago. Ich gehe davon aus, dass der Weg das wahre Ziel ist.
Diese Betrachtungsweise ist vor allem dann besonders wertvoll, sollte
man sein Ziel einmal nicht erreichen. „Der Weg ist das Ziel.“
Dieser Satz von Konfuzius ist elementar. Was nach deinem Tod sein wird,
weiß du nicht. Man hat nur den Weg bis ebendort. Diesen Weg dahin
sollte man mit wachen Sinnen aufmerksam beschreiten. „Alles
sagen die Sinne – aber um ihre Aussagen zu verstehen, muss man
sie verbinden. Die Evangelien der Sinne im Zusammenhang lesen, heißt
denken“ (Ludwig Feuerbach). Pilgern bedeutet dem Leben eine
neue Richtung zu geben, sich eine Weile aufs Wesentliche zu beschränken,
nur das Notwendigste mitzunehmen um Ballast abzuwerfen, Sorgen und Anliegen
mit auf den Weg nehmen. Du hast die Möglichkeit Stress abzubauen,
dich der Natur zuzuwenden und dabei den eigenen Lebensweg zu reflektieren.
Andere wollen im Gehen Klarheit gewinnen, dem Alltag entfliehen oder
sind auf Suche nach dem Sinn des Lebens. Viele sind auf der Suche nach
Gott, zumindest einem großen Baumeister aller Welten. In jeder
Form bringt es die Klarheit der Gedanken. Eine noch größere
Dimension offenbart sich dir, diesen Weg mit deinem eigenen Sohn beschreiten
zu dürfen. Dieses Glück wird mir beschieden sein. Blut ist
ja bekanntlich dicker als Wasser und der Camino ist ein Band fürs
Leben – auch wenn das Projekt wegen der Hindernisse um die Corona
Krise erst 2025 oder sogar 2026 realisierbar sein wird. Die Erkenntnisroute
ist wie schon gesagt auch eine vinophile Reise.
QUELLE: © Prof. Ali Meyer | SANTIAGO
» | Rosenkranz-Triathlon | Auszug aus dem Buchmanuskript
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