KULTURGUT WEIN
Auf UNESCO-Ebene wird zwischen den Begriffen „Welterbe“
und „Immaterielles Kulturerbe“ unterschieden. Handelt es
sich beim Welterbe um materielle Kultur- und Naturdenkmäler, wie
etwa die Pyramiden von Gizeh, die Everglades oder Schloss Schönbrunn,
umfasst Immaterielles Kulturerbe u.a. kulturelle Praktiken – wie
Bräuche, Rituale und Feste, Erfahrungswissen und traditionelles
Handwerk.
DIE INWERTSETZUNG ÖSTERREICHISCHER WEINKULTUR
AUF BASIS DES KULTURERBEVERSTÄNDNIS DER UNESCO
Mit der Anerkennung von kulinarischen Traditionen, beispielsweise der
französischen Speisenfolge, als Teil des immateriellen Kulturerbes
der Menschheit, schuf die UNESCO einen neuen, kulturellen
Blick auf den Bereich des Essens und Trinkens. Für viele immaterielle
Kulturgüter bedeutet die Aufnahme in das Kulturerbeverständnis
Möglichkeiten einer gezielten Inwertsetzung. Mit der Sicht auf
den österreichischen Wein, unter der Folie des immateriellen Kulturerbes,
können Geschichte(n), Traditionen und Herkunft für die heimische
Weinwirtschaft einen Wettbewerbsvorteil bieten. Durch die Konkurrenzsituation
auf dem globalen Weinmarkt kann das eigene Kulturerbe wesentlich zum
Profil des heimischen Weines beisteuern und seine Position bei den heimischen
Konsumenten festigen sowie ausbauen. Besonders der Tourismus bietet
dem immateriellen Kulturerbe eine Bühne, sich darzustellen und
aus dem Weinreisenden einen loyalen Konsumenten zu machen.
Wein und Bier dienten bis zum 18. Jahrhundert nicht nur als Alternative
zum oft verunreinigten und mit Krankheitserregern verseuchten Wasser.
Ihre Bedeutung überstieg den bloßen Zweck des Durststillens.
Ob als Zahlungsmittel, als Statussymbol, zur künstlerischen oder
philosophischen Inspiration sowie in religiösen Zeremonien, sie
nahmen einen zentralen Platz im jeweiligen Gesellschaftsleben ein. Wie
viele andere Nationen entwickelte Österreich ein besonderes Verhältnis
zum Wein. Schon zu Zeiten der Habsburger zählte der Wein zu den
wichtigsten Handelsgütern, durch deren Einnahmen das Herrscherhaus
zahlreiche Kriege finanzierte. Seine Rolle als Kulturgut erfüllte
der Wein zu allen Zeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg trug er wesentlich
zum österreichischen Gründungsmythos bei. Bei den Staatsvertragsverhandlungen
soll reichlich Wein geflossen sein. Die Einigung mit der Sowjetunion
setzte angeblich die Trinkfestigkeit der beiden österreichischen
Politiker Julius Raab und Leopold Figl voraus. Auch wenn sich der berühmte
Ausspruch Leopold Figls: „Und jetzt Raab – jetzt
noch d'Reblaus, dann sans waach!“ und die weinselige Runde
bei den Verhandlungen wohl eher in den Bereich der Legenden einordnen
lässt, bestimmte das Klischee von der österreichischen Weinseligkeit
über weite Strecken das Fremd- sowie das Selbstbild.
Einzelne Weinbauregionen, wie auch die heimische Wachau, fanden bereits
Einzug auf die Liste des schützenswerten Erbes der Menschheit vor
allem wegen ihrer Naturlandschaft. Wein ist aber nicht nur Naturerbe,
sondern Weinbau und -kultur zählen vor allem zu den lebendigen
Kulturgütern, die sich schwer greifen lassen. Neben den materiellen
Gütern gewannen die immateriellen Güter immer mehr an Bedeutung.
Die Anerkennung des immateriellen Erbes als schützenswertes Gut
durch die UNESCO bewirkte eine Nationalisierung und
Regionalisierung von Kulturerbe. Durch die Nationalagenturen entstand
eine Aufwertung von lebendiger und regionaler Kultur in all ihren Facetten.
Österreich ratifizierte am 9.7.2009 das Übereinkommen
zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes und nahm bis heute
mehr als vierzig Anträge in das nationale Verzeichnis auf. Die
Bestimmungsmacht und Interpretation von Kulturerbe liegt bei den Nationalstaaten
und den Communities. Die Vorgaben der UNESCO sind nur
richtungsweisend. Deshalb verzichtet immaterielles Kulturgut wohl bewusst
auf die Bezeichnung Weltkulturerbe.
QUELLE & AUTOR: ©
Stefan Rothschedl | Die Inwertsetzung österreichischer Weinkultur
auf Basis des Kulturerbeverständnis der Unesco | Leseprobe aus
der Magisterarbeit
BILDER: IN VINO VERITAS
| Der neue Weinbau 4.0
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